Geschichten:Brief einer abwesenden Mutter

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Mein Sohn,
 
 
 
 
Du bist nun im Knappenalter und lernst das edle Handwerk des Ritters am besten hierfür geeigneten Hof, dem Hof der Grafen zu Luring. Ich hoffe sehr, dass Graf Danos Dir in Deinen frühen Jahren viel mit auf den Weg hat geben können, dass Du es in die Tiefen deines Herzens gelegt hast, um es dort reifen, wachsen und gedeihen zu lassen. Nimm ihn Dir stets als Vorbild – wie viele es zu seinen Lebzeiten und noch heute tun.

Erinnerst Du Dich deiner Mutter noch? Ich habe Dich seit neun Jahren nicht gesehen und denke doch täglich an Dich. Die Briefe, die ich Dir sende, und jene, die Du mir schickst, lindern meine Sehnsucht kaum, Dich, meinen geliebten Sohn, an mich zu drücken, Dich mit Stolz aufwachsen und die Freude des Lebens genießen zu sehen.

Noch immer aber ist mein Werk nicht verrichtet, mein Versprechen nicht abgedient, meine Fehler nicht abgebüßt. Ich vermisse nicht nur Dich mein Sohn, sondern auch Deinen Vater, von dem ich Dir schon bald berichten werde. Ich hoffe, dass Du von ihm geerbt hast, was Dein Wesen ausmachen wird, und nicht von mir, die ich vor allem Talent darin habe, den falschen Abzweig zu nehmen. Erst jetzt, da ich seit Jahren auf dieser Queste weile, weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin, auch wenn er der schmerzvollste ist, den ich mir denken kann: voll Sehnsucht nach Dir, Deinem verstorbenen Vater, der Heimat. Nach meinen eigenen Eltern.

Deshalb schreibe ich Dir heute, mein Sohn, um Dir mitzuteilen, dass dein Großvater Sybelin in Praios‘ Lichthaus eingegangen ist. Er starb zur Mittagsstunde am 12. Praios – wie es ihm zustand nach einem langen, frommen und arbeitsreichen Leben. Er hat als Ucuriat keinen Weg gescheut, keine Strecke gespart und mit Überzeugung Wahrheiten an ferne Orte getragen. In den letzten zwanzig Jahren hat er sich der Ausbildung junger Ucuriaten im Tempel der Sonne gewidmet und galt als weiser und guter Lehrer. Und da man dort der Wahrheit verpflichtet ist, hat man mir, der Tochter, wohl nichts aus Mitleid vormachen wollen, auch wenn ich in der Kirche fast den Status einer Ketzerin habe, seit ich das Gelübde zurückgegeben habe. Seine andere Enkelin, meine gleichaltrige Nichte und Deine Base Lechmin Lucina, begleitete ihn bis an den Rand des Nirgendmeers.

Bete für Deinen Großvater, mein Sohn, sowie für Deinen Vater und Ritter Danos, der den Vater ersetzte. Bete auch für des Grafen Sohn Drego. Nach allem, was ich höre, benötigt er den Beistand aufrechter Seelen, wie Du eine bist, weil falsche Freunde ihn daran hindern, mit seinem sanften Wesen ein mildtätiger und gerechter Herrscher zu werden. Ich hoffe, er ist Dir ein guter Vormund.

Und bete für Deine Mutter, deren Herz vor allem Deinetwegen noch Liebe und Wärme empfindet.
 
 
 
 
Praios befohlen, Deine Mutter

z.Zt. in Punin