Geschichten:Brandspuren - Nichts für kleine Mädchen

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Feidewald, 20. Boron 1043 BF

Bis tief in den Sauforst an der Grenze zwischen Natzungen, Feidewald und Raulsmark hatten sie die Spuren der Verräterin weiter verfolgt, ob aus verzweifelter Wut oder sturem Pflichtbewusstsein gegenüber ihrem Herrn, vermochte Nadriane von Wetterwend gar nicht mehr zu sagen. Doch plötzlich hatte da mitten auf einer kleinen Waldlichtung diese voll gerüstete und mit einem seltsam gezackten Streitkolben und Schild bewaffnete Frau in ihrem Weg gestanden – wie ein leibhaftiger Dämon in einer schier überwältigenden Aura aus Angst und Blut. Der Kampfgeist der Knappin war angesichts der tödlich flackernden Eleganz dieser mit jeder Faser Gewalt und Mord atmenden Erscheinung jäh erloschen und hatte einer lähmenden Furcht Platz gemacht. In der aufsteigenden Gewissheit über den unausweichlichen Ausgang dieser Begegnung hatte Nadriane völlig gebannt ihren eigenen Herzschlag pochen gehört wie einen einzelnen riesigen Totengong: Diese Frau würde sich einen Spaß daraus machen, ihre Opfer blutig zu quälen, anstatt ihnen ein schnelles Ende zu bereiten. Und dann waren auch schon die anderen schurkischen Katterquells aus ihren Verstecken gekrochen und über Rapidoras Häscher hergefallen.

In diesem Moment hatte einzig der Waffenknecht Sebald einen Rest Geistesgegenwart bewahrt. „Verschwinde! Das ist nichts für kleine Mädchen!“, hatte der Veteran noch gezischt und der Knappin den lebensrettenden Stoß gegeben, der sie in Bewegung gesetzt hatte.

Und Nadriane war gerannt. Fort! Nur fort! Sie war in die Nacht hinein gerannt ohne sich umzudrehen oder auf den Weg zu achten. Sie rannte blindlinks, ohne Rücksicht auf die Striemen und Schrammen, die ihr die peitschenden Zweige und knorrigen Äste zufügten. Ihre Kleider waren völlig verdreckt und zerrissen, den wärmenden Kapuzenmantel hatte sie schon längst eingebüßt. Ihre Beine fühlten sich an wie zwei Ambosse, ihre Lungen wie glühend heiße Steine und sie keuchte wie ein gedeckelter Kessel, aus dem der letzte Dampf entwich. Sie sah nichts in dieser bleischwarzen Dunkelheit und lief immer wieder gegen irgendwelche Baumstämme, die plötzlich vor ihr auftauchten. Sie hastete, stolperte, schlug sich die Knie auf, rutschte auf dem nassen Laub weg, schlitterte einen Hang hinunter, brach durch das Dickicht und knallte mit der Stirn gegen einen Stein, raffte sich auf und torkelte weiter. Weiter! Immer weiter! Dem irren Gemetzel mochte sie entkommen sein. Doch wie sehr auch das Blut gleich einem wilden Fluss in ihren Ohren rauschte, lauter noch gellten in ihrem Kopf unablässig die grässlichen Schmerzensschreie auf jener Lichtung.