Geschichten:Brachenbraut

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Simiane krümmte sich vor Lust.

Der kalte Stein drückte hart in ihrem Rücken, das spürte sie nicht. Die keuchenden und röchelnden Körpermassen in windender Ekstase um sich, das hörte sie nicht. Den dumpfen Gestank von moderndem Sumpfgras und verschimmelten Baumstümpfen, das roch sie nicht. Und den widerwärtigen, von straffen Nackenmuskeln getragenen Stierkopf, dessen menschliches Glied immer und immer wieder in ihren Körper hämmerte, sah sie nicht.

Sie war völlig eins mit sich und bereits fern von diesem ekelhaften und niederen Leben, in das die von ihr verfluchten Götter sie gezwungen hatten. Ihr hatte nie jemand etwas geschenkt. Rahja hatte ihr nichts von ihrer Schönheit mitgegeben, nur ein völlig schiefes Gesicht mit schlechten Zähnen. Praios hatte sie nicht vor der Ungerechtigkeit beschützt, als vor zehn Jahren diese fremden Ritter plötzlich auf dem Hof ihres Vaters aufgetaucht waren und alles geraubt hatten, was nicht niet- und nagelfest war. Und als dieser eine große Mann mit ihr das erste Mal das getan hatte, was ihr jetzt getan wurde.

Und auch Hesinde hatte ihr nichts von ihrer Weisheit geschenkt, denn dann hätte sie selber verstehen können, das der gewundene Pfad ihres Lebens – der Weg eines Waisenkind nach Gareth, wo sie sich jeden der harten Schläge von Meister Gumpel gemerkt hatte, als er ihr völlig betrunken versuchte beizubringen, wie man die Ahle durch das schäbige Leder für den teuren Schnürschuh drücken musste – sie nicht an einen guten Ort würde führen können.

Stattdessen hatte sie vor drei Jahren von der bleichen Bohnenstange Sighart, mit dem sie sich abends heimlich traf, nachdem sie sich aus ihrem dreckigen Zimmer unter den Stufen der Werkstatt geschlichen hatte, von diesem Schwarzen Einhorn gehört. Und während sie billigen Brand ihre jugendlichen Kehlen hinter kippten und sich gegenseitig die Pfeifen mit dem Rauschkraut reichten, lauschten sie gebannt den Worten von Terramer ya Strozza. Dass der reiche Adel auf ihre Kosten lebte und sie selber schuld an ihrem Elend waren. Dass sie frei waren, alles werden können, wenn sie es nur wirklich wollten und mit letzter Konsequenz verfolgten. Dass hinter den hohen Mauern der Stadt eine weite und offene Welt nur darauf wartete, von ihnen erobert zu werden.

Dann war das Einhorn aus Gareth verschwunden. Ein paar Ermittler der Garetischen Criminal-Cammer hatten versucht aus ihnen irgendwelche Informationen über Terramer herauszubekommen. Sie hatten ihnen ins Gesicht gelogen und sich danach miteinander köstlich amüsiert. Das Bedauern über das Abtauchen des Schwarzen Einhorns, dem das Pflaster in Gareth zu heiß geworden war, wich der Langeweile. Ein paar kleinere dumme Streiche dachten sie sich aus, aber auch das langweilte sie irgendwann. Und dann war der bleiche Sighart auf Wanderschaft gegangen, hatte tatsächlich allen Mut und alle Ersparnisse zusammen genommen und sich einer Gruppe von Glücksrittern angeschlossen, die von einem Abenteuer hinter dem Ehernen Schwert gehört hatten. Simiane war bei ihren Schuhen geblieben und bei den Schlägen von Meister Gumpel.

Bis zu dem Tag als Iribius in ihr Leben getreten war. Seine Augen nahmen sie sofort gefangen, sie hatte das Gefühl den Verstand zu verlieren, wenn sie in seiner Nähe war. Er erzählte ihr eigentlich nicht viel, woher er kam und was er wollte. Nur dass er in der Brache einen unvorstellbar wertvollen Schatz gefunden hatte und er ihre Hilfe brauchte. Bei ihren ersten Liebesstunden war er zart und beinahe scheu gewesen, und er gab ihr ein Gefühl, das sie noch nie verspürt hatte. Anerkennung. Sie war bereit ihm alles zu opfern – und genau das forderte er schließlich ein. Als er es tat, hatte der Wahnsinn der Brache längst ihren Geist vernebelt.

Bereits ihr erster Ausflug in die Dämonenbrache war beinahe tödlich verlaufen. Wenige Meilen südlich von Sonnengrund hatten sie sich an einem Frühsommerabend durch dornige Hecken geschlagen und waren einem ausgetrampelten Pfad gefolgt. Sie hatten die Rotte Schweinehunde nicht bemerkt, die sich wie wahnsinnig auf sie stürzte. Iribius war stehen geblieben und blickte die verfluchten Viecher einfach nur starr an. Simiane war laut schreiend umgedreht und versuchte sich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Die Chimären holten sie ohne Mühe ein und machten sich über sie her. Und dann hob Iribius nur die Hand und murmelte ein paar fremde Worte. Die Chimären ließen ab von ihr und trollten sich schrill bellend quickend zurück ins Unterholz. Simiane lag blutend und zitternd auf dem Boden. Und sie wusste, dass Iribius über dunkle Kräfte verfügte, mit denen er sie schützen würde.

Simiane ging nicht mehr zurück zu Meister Gumpel. In einer verfallen Mietskaserne am Rand von Sonnengrund quartierten sie sich mit einigen anderen jungend Leuten ein. Sie malten an die Wände mit dunkler Farbe düstere sich windende Zeichen, die sie nicht verstanden, aber die sie sehr schön fanden. Gemeinsam sangen sie dumpfe eintönige Lieder, trommelten dabei einen eindringlichen Rhythmus auf kleinen Trommeln. So begannen ihre Orgien. Erst ließen zwei Jungen aus Sankt Parinor ihre Hemmungen fallen und vergnügten sich miteinander. Am Ende wanden sich ihre nackten Leiber über den kotverkrusteten Boden, stöhnend und keuchend. Simiane gab ihren Körper bereitwillig hin, sie hatte sich ihm nie wirklich verbunden gefühlt. Und in ihrem Leib wuchs ein weiteres Leben heran.

An einem nebligen Herbsttag hatten sie sich am Scherbenmarkt herumgetrieben und einem fahrenden Händler die Geldkatze entwenden können. Nachdem sie einem der Tobrier den obligatorischen Anteil abgedrückt hatten, den er dafür verlangte, dass sie sich in seinem Revier aufhielten und klauten, schlugen sie sich ihre Bäuche voll mit fettigem Essen in einer der heruntergekommenen Spelunken in Südquartier. Da war die Idee das erste Mal aufgekommen, ihre Orgien in die Brache zu verlegen. Iribius hatte nur stumm genickt und leise gemurmelt: „Die Finger.“

Als sie auf den Weg hinaus zur Stadt waren, hatte sich Iribius ihr genähert und ihr zugeflüstert: „Heute wirst du die Braut der Brache werden.“ Und in Simiane stieg die Aufregung – die Erregung. Sie streichelte über ihren gewölbten Bauch, der seit einiger Zeit sehr deutlich zu sehen war. Zielsicher führte Iribius sie alle zu einer kleinen Lichtung mitten in der Brache. Ein paar moosbewachsene Felsen ragten aus dem Boden hervor, fast wie eine verkrüppelte Klauenhand. Und mit Trommeln und Singen begann ihr unseliges Treiben. Nackte Körper wälzten sich über das dürre Gras der Brache. Das rhythmische Schmatzen des matschigen Bodens wurde durch den Takt der Trommeln bestimmt. Lautes Stöhnen und Schreie voller Lust füllte den dunklen Abendhimmel, der nur durch ein paar flackernde Fackeln erhellt wurde, die Iribius in einem Kreis um sie herum in den Boden gesteckt hatte.

Schließlich näherte sich Iribius mit festen Schritten der schwangeren Simiane, die gerade von drei hässlichen Jungen bedient wurde. Bestimmt zog er die frühere Schuhmacherin zu sich. Willenlos und ohne Gespür für sich selbst ließ sich Simiane zu einem der niedrigen Gesteinsbrocken führen, der fast wie ein Altar im Zentrum der Finger stand. „Jetzt kommt dein Bräutigam“, flüsterte er Simiane ins Ohr, aber das hörte sie schon nicht mehr.

Aus der Dunkelheit des Dickichts löste sich eine riesige Gestalt. Schnaubend und dröhnend näherte sich ein Gigant von einem Stiermenschen dem völlig verdreckten Körper Simianes. Mit dichtem schwarzen Haar war der gesamte Körper verhüllt, die zwei Hörner auf dem Kopf des Minotaurus glänzten im roten Fackelschein. Die sich windenden Leiber auf dem Boden teilten sich, während er auf Simiane zu rannte. Mit einem tiefen Röhren fiel er über sein Opfer her und es war nicht mehr erkennbar, ob ihre lauten Schreie dem Schmerz oder der Lust geschuldet waren. Immer stärker und kräftiger stieß der widernatürliche Bräutigam zu, Blut rann an seinen Beinen und am Stein herab. Und während er zu seiner Ekstase kam, beugte der Minotaurus seinen Kopf hinab, stieß seine glänzenden Hörner in den Bauch Simianes und schlitzte sie von unten herauf bis zum Hals auf. Dann drehte es sich das Wesen um und suchte seinen Weg zurück in die Dämonenbrache.

Die gurgelnden Laute der Sterbenden mischten sich in die ekstatischen Trommeln. Sie bemerkte nicht mehr, wie Iribius das leise quäkende Kind aus ihrem Bauch in ein Tuch wickelte und mit leisem Murmeln von ihr wegbrachte. Auch bemerkte sie nicht mehr, wie aus dem Unterholz plötzlich Pfeile auf die Lichtung schossen und in dumpfen Schlägen in die nackten Körper einschlugen. Das war nicht mehr Teil ihrer Geschichte.

Zuckend schwand das Leben aus Simianes Körper und mit einem Seufzer hauchte sie ihren letzten Atem aus. Es war kein gutes Leben gewesen. Und niemand würde sich an sie erinnern.