Geschichten:Blutiger Ernst - Kalte Spuren

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Brachenburg, Anfang Ingerimm 1035 BF

Die Brachenburg, die eher ein befestigtes Stadthaus ist, liegt ein wenig abseits im Süden des Garether Stadtteils Eschenrod. Wie so viele Stadtrittergüter ist es längst von der Stadt geschluckt worden. In Nachbarschaft zu gesichtslosen und grauen Mietskasernen liegt sie wie eine Erinnerung an eine vergangene Zeit.

»Wohlgeboren, die Zwölfe zum Gruß!« Die resolute Ritterin empfängt den Gast freundlich in ihrer Wohnstube. Ein Diener wird geschickt, um einen Krug Wein zu holen. »Was führt Euch zu mir? Was gibt es Neues in Rosskuppel?«

Balrik von Keres erwidert die höflichen Förmlichkeiten und gibt bereitwillig Auskunft über seine Ambitionen auf das Marschallsamt. Auch von der einen oder anderen Begebenheit aus Hohenlinden berichtet er der fröhlichen Ritterin, die ihrerseits die neuesten Gerüchte aus dem Südquartier mit ihrem Standesgenossen teilt. Schließlich kommt Balrik auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen und fragt Yasinthe, ob sie inzwischen herausgefunden habe, zu welchem Schloss jener Schlüssel gehört, den man vor zwei Jahren bei ihrem ermordeten Bruder Yelwyn gefunden hatte.

»Nein, leider nicht.« Ein Spur von Traurigkeit legt sich auf ihr Gesicht. »Um ehrlich zu sein, ich habe mich nach Yelwyns Tod nicht mehr damit beschäftigt. Ich habe mich mit dem Gedanken abgefunden, dass man die Täter nie dingfest wird machen können, und ich danke dem Herrn Boron, dass er mir die Kraft und die Ruhe gegeben hat, loszulassen und zu akzeptieren, dass mein Bruder gezwungen wurde, seinen vorherbestimmten Flug über das Nirgendmeer viel zu früh anzutreten.«

Sie gibt ihrem Diener einen Wink und beauftragt ihn, vom Speicher die Schatulle mit Yelwyns wenigen Habseligkeiten zu holen, die sie nach seinem Tod behalten hat. Dort heraus nimmt sie den Messingschlüssel. »Er passt in keines der Schlösser dieses Hauses. Ihr könnt den Schlüssel gerne an Euch nehmen, Wohlgeboren. Mir liegt nicht viel daran.«

Der Schlüssel, den Balrik in Besitz nimmt, scheint zu einem Truhenschloss oder ähnlichem zu gehören. Er ist von normaler Qualität und hat keine besonderen Auffälligkeiten oder Verzierungen. Balrik bedankt sich höflich und steckt ihn in seine Rocktasche. Wo denn ihr Bruder bestattet läge, ob mit dem Grab alles in Ordnung sei, fragt er weiter.

Yasinthe schaut ihren Gast verwundert an. »Nun, mein Bruder liegt in unserer Familiengruft im Borontempel von Eschenrod. Ich wollte ihm gerade meinen wöchentlichen Besuch abstatten, als Ihr kamt. Wenn Ihr wünscht, dürft Ihr mich gerne begleiten.«

Gemeinsam mit Balrik betritt Yasinthe von Brachenhag den Tempel des Schwarzen Lichts. Dem Hüter des Rabens Stygomar nickt sie schweigend ihren Gruss zu, den dieser stumm erwidert. Ein Golgarit begleitet die beiden Stadtritter in das zweite Untergeschoss, wo sich die feuchte enge Gruft der Brachenhags neben denjenigen einiger anderen angesehenen und alteingesessenen Garether Familien befindet. Yelwyns Grabstätte ist ein verschlossener Zinksarg mit Inschrift und Verzierungen. Balrik vergewissert sich kurz von dessen Unversehrtheit und zieht sich dann pietätvoll zurück, um der Trauernden ihren Raum zu lassen.

Als Balrik den Tempel wieder verlassen hatte, holte er den Schlüssel wieder hervor. In welches Schloß er wohl gehörte? Yelwyn ist in der Nähe des alten Hippodroms gefunden worden. Vielleicht hatte er in der Nähe eine Absteige gehabt, wo er auch ein Truhe hatte? Ob diese nach zwei Jahren wohl noch dort aufzufinden wäre?

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„In ganz Gareth?“, sagte Belgos al'Ceelar entsetzt. „Das kann Wochen dauern!“

„Dann dauert es eben Wochen“, antwortete Balrik bestimmt (und leicht verärgert wegen Belgos' Tonfall – aber wer konnte es ihm verübeln?). „Nehmt Euch so viele Männer, wie Ihr braucht. Ich will das jedes Gasthaus aufgesucht wird.“

„Wie Ihr wünscht“, sagte der Tauristar und verließ den Raum.

Hatte Yelwyn von Brachenhag damals überhaupt ein Quartier in einem Gasthaus genommen? Schließlich konnte er ja in der Brachenburg unterkommen … Und falls ja, konnte sich der Wirt dann noch an den Ritter erinnern? Und hatte er dessen Habseligkeiten überhaupt noch aufgehoben?

Es waren alte Spuren, vielleicht sogar zu alt. Er hätte vor zwei Jahren schon verstärkt der Sache nachgehen sollen; aber er hatte darauf vertraut, daß seine Männer etwas finden würden, wenn sich etwas tat. Oder daß irgendetwas geschah, das seine Aufmerksamkeit erregte. Doch es hatte sich nichts getan und nichts erregte seine Aufmerksamkeit. Zum Schluß hin hatte er überhaupt nicht mehr daran gedacht – bis zu dem Tag, an dem er die Einladung des Burggrafen bekommen hatte und er ihm den Drohbrief zeigte, den er bekommen hatte. Und diese Truhe, die er nun suchte, konnte auch ganz woanders sein ...

Er hatte zu lange gewartet. Das war ein Fehler gewesen. Ein großer Fehler. Mochten die Götter helfen, daß die Spuren nicht völlig erkaltet waren.