Geschichten:Barbenwehr in neuer Hand - Oberst Zillingen ist nicht nur tot

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»Last die ganze Bande antreten«, befahl Ugdalf von Streitzig seinem Knappen Leugold, »aber rapido!«

»Welche Bande?«, fragte Leugold nach. Er hatte wieder nicht so recht zugehört, nachdem der Hauptmann von seiner Reise nach Perricum zurückgekehrt war. Zwar war unübersehbar gewesen, dass der alte Haudegen ganz aus dem Häuschen gewesen war, aber wen kümmert es? Den Knappen Leugold? Nie und nimmer.

Streitzig sah seinen unegalen Knappen kurz streng an und kniff die Augenbrauen zusammen, was sein Gesicht in Schieflage versetzte, denn die Bronzeplatte über seinem linken Augen hinderte die Mimik, sein Gesicht linkerhand in die gewünschte Form zu bringen. »Den Hofstaat, du Nichtsnutz. Beweg dich«, bellte Streitzig im Kasernenhofton und holte sogar mit dem Fu0 aus, als wollte er den Knappen treten. Der eilte aber spornstreichs, den Befehl auszuführen.

Streitzig begutachtete den Gerichtssaal: Manchmal wurde er Thronsaal genannt, weil die Anordnung der Sitze und Bänke dem Reichsvogt auf Barbenwehr eine erhabene Stellung im Zentrum der Stirnseite gewährte, just unter dem hohen Spitzbogenfenster, von wo aus man weit ins Land der Nebachoten blicken konnte. Der Vorteil dieser Anordnung war, dass der Reichsvogt vor der Sonne saß, von wo aus er jeden genau betrachten konnte, wohingegen er im Schatten der hohen Lehne nahezu unsichtbar war - und zwar je unsichtbarer, je heller es war. Ob Praios das recht ist? Ugdalf zuckte die Achseln, so dass die Glieder seines Kettenhemdes rasselten, und nahm auf dem Sitz des Reichsvogtes Platz.

Langsam traf der Hofstaat der kaiserlichen Festung Barbenwehr ein: Allen voran erschien die Kastellanin Samia von Gaulsfurt, der man ansah, dass sie den Ruf des Knappen nur ungern befolgte. Sie argwöhnte, dass hier nach dem unrühmlichen Ende des beliebten Bendan von Zillingen Vorlagen geschaffen werden sollten, wie der Hof, das hier stationierte Regiment und das ganze kaiserliche Gerbenwald neu organisiert werden sollten. Und es schmeckte ihr nicht, dass dieser Hauptmann sich auf den Thron des Reichsvogtes gesetzt hatte. Streitzig war zwar tapfer und hatte viele Kampfeinsätze gehabt, aber - meine Herren! - er war nur Hauptmann.

»Hauptmann, was s…«, hob sie an, doch Streitzig brachte sie sofort zum Schweigen: »Später. Ich will nicht alles dreimal sagen.« Samia versuchte es noch zweimal, aber dann war Streitzigs Geste unmissverständlich.

Nach und nach kamen Mundschenk Eborian von Meidersee, Zeugmeister Angrond von Pelkerstein, die Hausritter unter Rondralied von Sturmfels und die engeren Ämter, nämlich Kammerherrin Prodya von Geyersruh und Secretarius Uriel von Zwickenfell, sowie der Rest vom Hofstaat. Die Versammelten schwatzten gedämpft miteinander und warfen fragende Blicke in Richtung des Streitziger Schattens auf dem Richterstuhl.

Zum Schluss schlurfte Burgvogtin Doranthe von Zwickenfell in den Saal, grüßte den Hauptmann lässig, ließ sich auf einen Stuhl fallen und streckte die Beine weit von sich.

»Könn‘ anfangen«, ließ sie die Versammelten wissen.

Streitzigs Miene war im Gegenlicht kaum zu lesen, aber es dürfte ihm nicht gefallen haben, dass er sozusagen auf Kommando der alten Kameldame anfangen sollte. Er erhob sich betont langsam und bemühte sich um einen tragenden Tonfall, der seiner eher an Befehle gewohnten Stimme hörbar schwer fiel: »Nun, da wir vollzählig sind, habe ich verschiedene Ankündigungen … äh … anzukündigen. Wie alle wissen, ist Oberst Zillingen nicht nur tot, sondern …«

»Na, das klingt interessant!«, unterbrach die Zwickenfell mit ihrer rauchigen Stimme, schlug sich auf die Schenkel und gackerte los. Einige stimmten in das ansteckende Lachen ein.

»Jetzt mal Ruhe bitte«, verschaffte sich Streitzig wieder Gehör. »Also, Oberst Zillingen ist tot und deshalb sind nicht nur das Reichsvogtenamt, sondern auch das Kommando über die Grenzreiter an der aranischen Grenze vakant. Gewesen. Ich komme direkt von Seiner Erlaucht Rondrigan Paligan, der hierzu sofort entschieden hat.«

»Folgt ihm seine Tochter Geldana nach?«, wollte Rahjan von Waltern jovial wissen, ehedem Adjutant Zillingens als Kommandant der Festungskette der Sieben Waisen. Sein Vorschlag war absurd - offenbar wollte er damit auf diplomatische Weise unterstreichen, dass ein Name viel wahrscheinlich wäre.

»Du ganz sicher nicht, Walterchen«, neckte die Zwickenfell, »auch wenn du Zillingens Schatten brav abgeleckt hast.« 

Waltern ärgerte sich, hatte sich aber wie gewohnt im Griff: »Ihr hingegen werft doch gar keinen Schatten mehr, oder? Außerdem bitte ich Euch mich weiterhin zu Ihrzen.«

»Natürlich, Hochwohlgeboren. Und ich gestehe auch, dass Ihr ganz sicher einen Schatten habt.« Die gleichzeitig zugeworfen Kusshand nahm der Bemerkung allerdings die Schärfe, weshalb das Gelächter wohlmeinend war.

»Nein, Geldana von Zillingen und Hauptmann Waltern folgen dem Oberst nicht nach«, fuhr Streitzig scharf dazwischen, »sondern ich!«

»Hört, hört«, vernahm man im Saal.

»Ja, ich. der Markgraf geruhte, mich wegen meiner Erfahrungen im Raschtulswall und mit den Nebachoten wie den Ferkinas sowie meiner Dienstjahre zum neuen Reichsvogt auf Barbenwehr zu ernennen. Dies hier ist das Dokument mit Siegel, das mich ermächtigt, Eure Eide erneut abzunehmen.«

»Na, dann lasse ich die Grenzreiter mal antreten, um Euch zu huldigen«, sagte die Zwickenfell und erhob sich geräuschvoll.

»Äh … das wird nicht nötig sein.«

Eine Pause trat ein, in der die Anwesenden auf die Erläuterungen warteten. Als diese nicht kam, blickte die Zwickenfell den neuen Reichsvogt fragend an, die Hände halb erhoben, das Kinn gereckt, ganz Fragezeichen.

»Diese Urkunde hier betrifft überdies das Kommando über die Sieben Waisen und die Grenzreiter«, erläuterte Streitzig, der sich bemühte, seine Autorität nicht wanken zu lassen.

»Also nicht Ihr?«, bohrte Waltern.

»Nein«, Streitzig räusperte sich und streckte die Hand mit der Schriftrolle aus. Waltern trat vor und griff sie, erbrach das Siegel und las.

»Das ist doch …!« Sein Blick wendete sich zur Zwickenfell, die immer noch abwartend am Ausgang stand. »Man hat Euch reaktiviert, Zwickenfell.«

»Ach ja? Zeig her.« Sie las die Urkunde und lachte trocken. »Scheiße noch mal, Streitzig. Jetzt klebt es an mir, das Banner der Grenzreuter wieder aufzurichten nach dem Verrat in Perricum.«

»Ja, das verstehe ich auch nicht«, erwiderte Streitzig trocken.

»Ich schon«, gab die Zwickenfell zurück. »Weil ich’s kann. Wär ja gelacht! Na dann: Antreten!« Damit verließ sie den Saal.

Der Markgraf hatte das Kommando über die Festungen und die Grenzreiter von der Verwaltung des kaiserlichen Lehens getrennt - so viel macht wie Bendan von Zillingen sollten seine Nachfolger nicht bündeln dürfen.



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg   Wappen Kaiserlich Gerbenwald.svg   Wappen Kaiserlich Barbenwehr.png  
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17. Pra 1040 BF zur abendlichen Hesindestunde
Oberst Zillingen ist nicht nur tot


Kapitel 1

Ein kurzes Vergnügen
Autor: BB