Geschichten:Altes Blut - Mit dem Schwert in der Hand

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6. Rondra 1037 – Burg Zerbelhelm, Junkertum Zerbelhufen (Baronie Rallerspfort)

Es war der zweite Tag der in Rallerspfort bekannten, zwei Mal im Jahr stattfindenden Zerbelhatz. Während das zweite Treffen im Jahr tatsächliche eine Jagd war, hatte sich das erste Zusammenkommen zu einem Treffen des Adels von Rallerspfort entwickelt, bei welchem die Politik der folgenden Monate besprochen werden konnte – vorausgesetzt man war geladen, was Angelegenheit des Junkers zu Zerbelhufen war.

Der erste Tag verlief hektisch, aber frei von bedeutenden Ereignissen. Dorian von Zerbelhufen hatte als Gastgeber die erfreuliche Aufgabe, seine Gäste zu begrüßen und ihnen ihre Zimmer zuzuweisen. Er war stolz auf die alte Tradition, die seine Familie ins Leben gerufen hatte, und hielt sie mit Freuden jedes Jahr aufs Neue ab, auch wenn sie kostspielig war. Die Familie Zerbelhufen hatte in Rallerspfort den Ruf, für allerlei Dinge das nötige Kleingeld zu besitzen, es dennoch nicht zu verprassen. Die Zerbelhatz war ein kleiner Luxus, den sie sich trotz allem gönnten, sicherte es doch die Beteiligung der Familie an wichtigen Entscheidungen und brachte stets eine Flut von Informationen und Gerüchten auf Burg Zerbelhelm.

In diesem Jahr hatten einige geladene Gäste aus verschiedenen Gründen abgesagt, darunter, zur Bestürzung aller, der Baron Raulbrin von Rallerspfort, welcher, wie sein Schwiegervater verlauten ließ, mit Vorbereitungen für den Heerbann der Kaiserin vollkommen ausgelastet war.

Trotz aller, die nicht erscheinen konnten, waren die Gästebetten alle belegt. Des Barons Schwiegervater Valnar von Falkenstein war erschienen, Junker Alandro von Leuchtenfels, samt seinem Gefolge, Junker Firunhardt von Böckelburg, Tresbert von Luring-Schneitzig, Junkerin Zelda von Berstenbein, Holdwin von Arkenaue, Wolfgrimm von Schelentorff, Aldessia von Wystern und, nicht zu vergessen, Haldan Rallersgrunder, der große Überraschungsgast des Jahres. Zur Verwunderung Dorians reiste er gemeinsam mit Alandro und seinem Gefolge an und hatte sich offensichtlich schon mit ihnen bekannt gemacht.

Der Morgen und der frühe Mittag waren der Begutachtung der Jagdgründe gewidmet, in welchen in einigen Monaten gejagt werden würde. Anschließend führte Zelda von Berstenbein gemeinsam mit ihrem mit angereisten Falkner einige ihrer prächtigen Tiere vor, führte Verkaufsgespräche und unterschrieb Verträge mit Alandro. Eine schlichte Zeremonie des Rallerspforter Firungeweihten, Bomil Durenald, und ein Mahl auf Burg Zerbelhufen folgten und beendeten den offiziellen Teil des Programms. Danach war jeder frei gestellt, doch fanden sich die meisten Teilnehmer im Kaminzimmer der Burg bei Bier und Räucherwurst zusammen, um sich zu besprechen.

Während Dorian noch Bierkrüge verteilte, begann Aromir von Trutzen die Diskussion, die Dorian um alles in der Welt hatte vermeiden wollen. „Falkenstein, Ihr steht offenkundig dem Baron am nächsten. Stimmt es, was man sich erzählt? Gedenkt er eine Schule für Gemeine zu errichten?“

Schon während der Wanderung durch den Wald war Dorian aufgefallen, dass das Gerücht über die Schule für die Gemeinen weite Kreise gezogen hatte und scheinbar jeder Bescheid wusste. Auch wenn er sein Möglichstes tat, um die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken, hielt sich dieses hartnäckig wie ein Geschwür inmitten der Gruppe und verseuchte die Stimmung. Noch hinzu kam die Anwesenheit Haldan Rallersgrunders, der nicht müde wurde zu berichten, er sei ein Bekannter Dorians, was dieser nicht abstreiten konnte, würde er dann doch die Frage aufwerfen, weshalb er überhaupt geladen war.

„Nun ja, bei Überlegungen dieser Art ist es kaum möglich von einer Schule zu sprechen. Eine bloße Kleinigkeit“, gab Valnar von Falkenstein als Antwort und tat alles mit einer wedelnden Handbewegung ab. Dorian stellte den Krug auf den Tisch zurück und beobachtete die Reaktionen der Übrigen. Alandro spielte an einem seiner Ringe und tat unbeteiligt, Aromirs Augen funkelten, während er Falkenstein fixierte und auch die anderen schienen an der Antwort interessiert. Falkenstein blieb ruhig.

„Der gelehrte Stoff mag durchaus eine Kleinigkeit sein, wer ihn auch immer festlegen mag, doch ist der Schritt, überhaupt eine derartige Einrichtung zu eröffnen, ein gewaltiger, meint Ihr nicht?“

Valnar dachte einen Augenblick darüber nach. „Ich finde nicht. Ich finde nicht, dass er gewaltig ist, höchstens gewaltig notwendig.“ Aufgeregtes Gemurmel machte sich breit unter dem anwesenden Adel und Dorian schaute besorgt über den Rand seines Bechers.

„Erklärt Euch!“, forderte Wolfgrimm von Schelentorff, ein rüstiger Ritter einer kleinen Herrschaft auf Dorians Land. Seine Familie stammte aus dem mitternächtlichen Tobrien und Dorian konnte sich nichts vorstellen, was ihm fernerliegen mochte, als dem gemeinen Volk das Lesen und Schreiben beizubringen.

„Aber, aber, meine Herrschaften“, unterbrach er das Murmeln. „ Auch wenn dies ein nicht zu vernachlässigendes Thema ist, so ist der geplante Feldzug der Kaiserin bei weitem entscheidender für uns alle, denke ich.“ Mit einem ernsten Blick brachte er zumindest seinen Vasallen dazu, den Blick zu senken. Für einen winzigen Augenblick hatte er die Aufmerksamkeit der Leute um ihn herum, doch das hämische Grinsen Tresberts von Luring-Schneitzig zeigte, was Dorian vermutete: Er würde den Lauf der Dinge nicht aufhalten können.

„Ist es nicht so“, fuhr Valnar fort. „Dass Praios uns alle lehrt was Recht ist und was Unrecht ist?“ Zustimmendes Gemurmel. „Was also spricht dagegen, es jeden zu lehren, der es wissen möchte? Was spricht dagegen, Unrecht im Vorfeld zu verhindern, indem man alle Recht lehrt?“

„Das Recht ist nicht die Angelegenheit des kleinen Mannes!“, fuhr Firunhardt von Böckelburg auf. Er stammte aus einem kleinen, aber alten, garetischen Rittergeschlecht, welches nicht für seine ausgezeichnete Bildung bekannt war. Er war massig, mit groben Gesichtszügen und das, was man einen Mann der Tat nenne würde. Die dem Worte inne liegende Macht war ihm fremd und darum hielt er sich auch nur selten lange damit auf.

„Der kleine Mann, wie Ihr ihn nennt, hat mehr Ahnung von Recht und Unrecht, als Ihr denken mögt“, warf Celissa von Lichtenhayn ein. „Er sieht die Richter und hört die Urteile die sie sprechen, und vertraut darauf, dass sie rechtmäßig sind.“

„Und das soll ihm genügen, sage ich! Er hat sich um seine Scholle zu kümmern und nicht um Dinge, die er nicht versteht.“ Böckelburg hatte sich nach vorne gebeugt und gestikulierte wild mit den Armen.

„Ich stimme Euch zu“, beteuerte Celissa. „Die Frucht der Felder sollte größere Wichtigkeit besitzen als die Hinterfragung des Rechts, was Angelegenheit der Rechtsgelehrten ist. Meine Familie rühmt sich einer engen Bindung zum Volk, die nötig ist, um es zu verstehen. Der einfache Mann sehnt sich nach Gesundheit für sich, seine Familie und das Vieh, ausreichend Essen auf dem Teller und gelegentlich nach einem Regenschauer für die Saat auf den Feldern, nicht nach Bildung.“ Dorian blickte sich erneut um und er war sich sicher, dass Falkenstein mit seiner Meinung allein stand, doch hielt dieser noch immer nicht inne.

„Ich fürchte die Herrschaften missverstehen mich. Es ist nicht meine Absicht, die Felder leer zu fegen und das Volk zu Gelehrten zu machen, die besseres zu tun haben, als die Scholle zu beackern. Es geht einzig und allein darum, den Menschen Möglichkeiten zu bieten, ihr Leben in kleinem Maße zu bessern. Es soll meiner Meinung nach kein Hexenwerk bleiben, den Brief eines Verwandten oder den Namen des Wirtshauses zu entziffern.“

„Was erhofft Ihr euch davon? Auch Ihr habt doch von Eslamsgrund gehört. Ich gehe lieber das Risiko ein, dass mein Bauer nichts von seinem Vetter zweiten Grades hört, als dass er mit Hacke und Fackel meine Tore stürmt. Die Aufstände in Eslamsgrund hätte es nicht gegeben, wenn dort niemand hätte lesen können.“

„Falsch“, sagte Valnar ruhig und bestimmt. „Das wäre nicht passiert, wenn der Adel gerecht richten würde.“

„Ihr verleumdet Euren eigenen Stand, Falkenstein!“, Wolfgrimm von Schelentorff erhob sich und verschüttete etwas von seinem Bier. „Der Adel richtet, wie es die Situation erfordert, und nur Strenge hält das Volk ruhig!“

„Und inwiefern ist es Recht, wenn jeder nach eigenem Ermessen und mit übermäßiger Härte richtet? Ein Reich, ein Recht sage ich! Dazu Leute, die Urteile prüfen, wenn es als nötig erachtet wird und bis dahin lehrt das Volk lesen und schreiben, damit es das Urteil nachvollziehen kann.“

„Ich werde meine Urteile nicht vom Verurteilten in Frage stellen lassen!“, dröhnte Böckelburg.

„So ist es“, stimmte Aromir von Trutzen zu.

„Wann sollen all diese Leute lernen, was sie nicht benötigen?“, fragte Aldessia von Wystern provokant.

„Es sollte möglich sein, an einem Tag in der Woche die Arbeit ruhen zu lassen, damit ein Geweihter in den Ortschaften lehren kann.“

„Also soll ich zulassen, dass nicht nur die Stadt mir die Leute vom Feld zieht, nun auch Ihr?“ Böckelburg war außer sich und auch Aldessia von Wystern stieg die Zornesröte ins faltige Gesicht.

„Es ist eine Investition in die Zukunft!“ Falkenstein schien ruhig, doch sein Blick verriet das Gegenteil. „Bildung von Kindesbeinen an formt den Menschen und das schafft Zivilisation, was unsere Region ruhig und ertragreich machen wird.“

Böckelburg sprang auf und riss sein Schwert aus der Scheide, welches hinter ihm an der Wand hing. „Unsere Region ist ertragreich! Unsere Region ist ruhig! Ganz ohne Bildung ist sie all das und wird es bleiben, so wahr ich hier stehe. Der Adel hat all dies zu garantieren mit dem Schwert in der Hand, nicht der Bauer mit Federkiel und Pergament!“ Als er dies sagte, fuchtelte er wild mit dem Stahl umher.

„Großartig, wie ruhig es hier ist dank der nicht vorhandenen Bildung…“, gab Valnar von Falkenstein triefend vor Selbstgefälligkeit zurück.

Was danach geschah, hätte Dorian hinterher nicht mehr genau beschreiben können. Nach einem kurzen Moment der Stille sprangen alle Anwesenden auf; Aldessia von Wystern, sonst zu gebrechlich von der Gicht, um aufrecht gehen zu können, sprang auf und zog ihr Schwert. Aromir von Trutzen, welcher die ganze Zeit gegen Falkenstein argumentiert hatte, sah sich gezwungen ebenfalls blank zu ziehen und sich schützend vor ihn zu stellen. Stahl krachte auf Stahl, als Böckelburg weiter vordrang. Die Übrigen bedrängten die Kämpfenden und wollten sie zur Vernunft ermahnen. Ein riesiges Durcheinander entstand und erst ein schriller Schrei löste die Menschentraube auf. Valnar war zu Boden gegangen und hielt sich die Schulter – zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor und beschmutzte sein Hemd. Mit großen Augen starrte er in die Runde.

In all dem Chaos fiel Dorians Blick auf Haldan Rallersgrunder, welchen er beinahe vergessen hatte. Er saß noch immer auf seinem Platz, schenkte sich seelenruhig Bier in seinen Krug und betrachtete schmunzelnd die Szenerie.