Geschichten:Altes Blut - Familienbande

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3. Efferd 1037 – Burg Zweifelfels, Freiherrlich Zweifelfels (Baronie Zweiflingen)

Golden war die Sonne am Morgen aufgestiegen und hatte die Bewohner der Burg Zweifelfels aus den Betten getrieben. Mit immer mehr Mühe vertrieb sie die Nebelschwaden im Tal und gab den Blick frei auf die Zweifel, die im Licht schimmerte und sich wie eine silberne Schlange durch Land zog. Noch vor den Bäckern, war bereits Brinian von Zweifelfels erwacht, hatte seine sorgsam vorbereiteten Kleider angelegt und sich mit einem nahrhaften Frühstück für den Tag gewappnet. Wie sonst auch trat er hinaus ins Freie, grüßte, wen er antraf und wechselte einige Worte mit dem Gesinde. Er ging durchs Tor hinaus und den Weg hinab, um seinem erwarteten Gast entgegenzugehen. Er musste nicht weit hinunter, als er schon Yalinda von Lichtenhayn-Zweifelfels sah, die ihm entgegenkam. Sie trug ein leicht verziertes Wollkleid und einen mit Ähren bestickten Überwurf gegen die morgendliche Kälte. Als sie ihn bemerkte strahlte sie ihm ein bezauberndes Lächeln entgegen, welches die letzte Müdigkeit aus ihm trieb.

„Peraine zum Gruße, Euer Gnaden. Wie schön, Euch hier willkommen zu heißen.“

„Peraine zum Gruße. Welch ein schöner Morgen. Da erfüllt mich die schiere Lust aufs bevorstehende Tagwerk.“ Sie blickte sich um und atmete einmal tief ein und aus.

Brinian schmunzelte. Er war pflichtbewusst und ein wahrer Frühaufsteher, doch Yalinda genoss es jeden Morgen voller Tatendrang aus dem Haus zu gehen.

Während des Hinaufgehens besprachen sie schon die Eckpunkte der morgendlichen Beratung.

„Wir müssen uns heute unbedingt darüber unterhalten, was für eine Ernte wir in diesem Jahr zu erwarten haben. Der Winter mag sich noch nicht auf den Weg gemacht haben, dennoch wird er kommen und alle wollen versorgt sein und die Abgaben sind ebenfalls bald fällig. Daran anknüpfend sollte mit der Planung der Erntedankfeierlichkeiten begonnen werden. Anschließend können wir darüber reden, ob es sonstige erwähnenswerte Vorkommnisse gibt.“

„Natürlich, Hoher Herr. Nur schon vorab: Ich denke es wird wenig Grund zur Beunruhigung geben. Wir erwarten eine gute Ernte, die die Speicher füllen wird. Peraine zeigte sich diesen Sommer überaus zufrieden mit unserer geleisteten Arbeit.“

„Was sicherlich auch Euch zu verdanken ist. Man kann es nicht oft genug betonen, wie wichtig Ihr und Euer Tempel für unsere Region sind.“

„Vielen Dank, Hoher Herr.“

Wieder im Hof angekommen bat Brinian um einen Krug Wasser und ein wenig frischen Kuchen, um sich während der Besprechung stärken zu können. Plaudernd stiegen sie die steinernen Treppen zum Arbeitszimmer hinauf. Kaum waren drinnen angekommen und hatten hingesetzt, kam auch schon eine Magd und stellte die Stärkung auf den Tisch.

„Nun denn“, begann Brinian und schlug eines seiner Bücher auf, in welchem er die Einkünfte und Abgaben der Baronie festhielt.

„Wenn ich mir das so ansehe,“ er blätterte ein wenig zurück, „hatten wir in den letzten Jahren gehöriges Glück bei der Ernte. Sehr erfreulich.“

Bevor er weiterreden konnte hörte man Schritte vor der Tür und im nächsten Moment klopfte es. Brinian und Yalinda schauten neugierig auf.

„Kommt ein.“, rief Brinian und schlug das Buch wieder zu.

Herein kam Rondriga Leodane von Zweifelfels, Schwester des Barons und elegante Ritterin am Hofe.

„Einen schönen guten Morgen wünsche ich.“, sagte sie zu den beiden. „Brinian, es ist ein Bote eingetroffen. Er hat ein wichtiges Schreiben aus Rallerspfort.“

„Leg es dort ins Regal.“, wies Brinian sie an und zeigte auf einen Korb im Regal, in welchem er eingegangene Schreiben sammelte, bevor er ihnen Beachtung schenken konnte. „Es wird sich um die Einladung zur Zerbelhatz handeln. Bald ist es wieder so weit. Da fällt mir ein, dass ich…“

„Es ist nicht von Zerbelhufen. Es ist von Raulbrin. Der Bote sagte, es sei wichtig.“

Brinian runzelte die Stirn. „Nun gut. Euer Gnaden, Ihr verzeiht mir, dass ich für einen Augenblick dem Schreiben die nötige Beachtung schenke?“

„Selbstverständlich.“

„Na dann her damit.“ Er stand auf und nahm den Brief entgegen. Neugierig brach er das Siegel und entfaltete das Stück Papier. Er musste den Text zweimal lesen, nur um sicherzugehen.

„Was steht darin?“, fragte Rondriga ebenfalls neugierig.

„Zerbelhufen und einige weitere Vasallen Raulbrins haben sich angeblich zusammengeschlossen, um gegen ihn vorzugehen. Sie drohen ihm im Krieg die Treue zu verweigern und sein Schwiegervater wurde bereits bei einer Zusammenkunft verletzt.“

„Das ist ja ungeheuerlich! Wie kann man sich so etwas bloß erlauben, wo der Krieg kurz bevor steht?“, platzte es aus Rondriga heraus.

„Das ist aber noch nicht alles. Zu allem Überfluss hat er Grund zur Befürchtung, dass die Hirschfurtens irgendetwas im Schilde führen. Tresbert von Luring-Schneitzig berichtet, dass es auf Burg Camdenburg Aktivität im größeren Ausmaß gibt.“

„Vielleicht Truppenübungen vor dem Winter.“, mutmaßte Rondriga.

„Genau das sollen wir sicherlich denken. Das sind besorgniserregende Nachrichten, wenn sie wahr sind.“

„Hast du daran etwa Zweifel?“, fragte Rondriga leicht zornig. „Er war stets ein zuverlässiger Freund. Warum sollte er lügen?“

„Ich unterstelle ihm ja keine Absicht, sondern bloß eine Fehleinschätzung oder ein Missverständnis.“

„Wird genannt welche Vasallen sich für Zerbelhufen erklärt haben?“, schaltete sich Yolande besorgt ein.

Brinian setzte sich in seinen Stuhl, schlug den Bogen nochmal auf und las laut vor. „Zerbelhufen, samt seiner Vasallen, Böckelburg – er war derjenige, der Falkenstein verletzt hatte, Wystern und Lichtenhayn…“, er faltete den Brief zusammen und schaute betreten zu Yolande von Lichtenhayn-Zweiflingen. Diese stand wie erstarrt dort.

„Nun…“, begann sie und räusperte sich. „Es muss sich dabei um ein Missverständnis handeln.“

„Das müsst Ihr ja nun sagen, Euer Gnaden. Dabei handelt es sich nicht um irgendwelche Gerüchte. Das ist die bestätigte Information.“, sagte Rondriga.

„Natürlich. Was bleibt mir im Moment anderes übrig? Ich kenne diese Menschen kaum. Der Name ist beinahe alles, was uns verbindet, doch haben sie nie an ihrer Treue zweifeln lassen. Sie sind zuverlässige Freunde gewesen. Für Raulbrin und für das Haus Zweifelfels.“

„Nun sind sie es womöglich nicht mehr.“

„Bitte mäßige dich ein wenig Rondriga.“, bat Brinian. „Sie hat recht. Es gab bisher keinen Grund an ihrer Treue zu zweifeln aber vor allem kann sie nicht für die eventuellen Verfehlungen ihrer Familie. Zerbelhufen ist ein Freund der Familie und er verdient zumindest eine Stellungnahme. Ich werde ihm einen Boten senden, damit er sich zu den Vorfällen äußern kann, bevor wir eine Entscheidung fällen. Niemand hier möchte eine militärische Auseinandersetzung.“

„Sicher, dass das Hirschfurten auch so sieht?“, stichelte Rondriga.

„Ich werde meine Entscheidung nicht auf Gerüchte stützen und dein Bruder muss auch informiert werden. Er hat schließlich das letzte Wort. So, genug davon. Euer Gnaden, wir sollten unsere Besprechung vertagen, Ihr habt sicherlich Verständnis dafür.“

„Natürlich.“

„Rondriga, könntest du bitte Nardes von Zerbelhufen zu mir schicken? Soweit ich weiß ist er gestern mit Esmer eingetroffen.“

„Ich dachte du willst seinen Vater befragen.“

„Möchte ich auch und dafür benötige ich einen Boten.“

„Ihn?! Sollte sich bestätigen was Raulbrin schreibt, ist er unser bestes Druckmittel.“

„Das ist mir bewusst. Wir entsenden ihn als Zeichen des guten Willens und der Deeskalation. Wenn er ihn nicht zurück schickt, brauchen wir keinen Antwortbrief mehr…“

Rondriga machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Bevor Yolande ebenfalls den Raum verließ wandte sie sich noch einmal Brinian zu.

„Hoher Herr, Ihr und Eure Familie habt viel Macht in den Händen. Nutzt sie nicht für den falschen Zweck. Es gibt immer einen anderen Weg als Blutvergießen und Krieg. Denkt an das Leid, welches ein Krieg in der Heimat auslöst. Rallerspfort ist nicht fern und ihr habt ebenfalls eine Grenze zu einem Hirschfurten. Die gesamte Region würde mit hinein gezogen. Ich sage dies nicht nur meines Namens wegen. Denkt darüber nach, ob es nicht besser wäre nachzugeben. Peraine sei mit Euch.“