Geschichten:Abgründe - Schatten der Vergangenheit

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Ritterherrschaft Ostbrisken am Fuße des Wachturms Hohenbrisken am 15.Travia 1042BF

„Wenn wir es weiter mit solchen Krallen zu tun haben, solltest du vielleicht auch mal Metall probieren…“ Magnus wechselte gerade Carls Verband. Neben der Bank lag der zerfetzte Lederharnisch, den der Hüne beim Kampf gegen das Biest getragen hatte.

„Ich nehm was der Herr von und zu mir zum Anziehen gibt! Bisher knausert er ja sogar bei nem ordentlichen neuen Harnisch. Will den alten flicken, sagt er…“ Carl warf Hane einen halb verärgerten, halb schelmischen Blick zu. Dieser blickte einigermaßen resigniert drein und schüttelte lediglich mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf.
Das Handgeld, mit dem er in dieses Unterfangen der Brachenwacht angegangen war, schwand bereits merklich und noch wusste er nicht wo die Reise in finanzieller Sicht hingehen würde. Sehnsüchtig erwartete der Reichsritter Nachricht vom Hof des Markvogts. Hane wandte sich wieder seinen Aufzeichnungen zu. Die letzten eineinhalb Tage hatten er und Magnus damit verbracht die Rotpüschel-Katzen-Echsen-Chimäre zu zerschneiden, die Körperteile zu vermessen, Knochenstücke zu skizzieren, die Hautfestigkeit zu prüfen, die Schuppenstruktur zu inspizieren, den Mundraum und die Krallen zu untersuchen … Kurzum – alles in Erfahrung zu bringen, was das Wesen verletzbar und verletzend machen könnte. In den Abendstunden des vorangegangenen Tages war der Gestank unerträglich geworden und sie hatten die Kadaverreste verbrannt. Die freigelegten Knochenstücke waren nun im Erdgeschoss des Wachturms aufgetürmt. Daneben saß Hane und übertrug gerade die eilig angefertigten Notizen der letzten Stunden fein säuberlich auf Pergament.

„Und, was meinst du? Gibt es eine Zukunft für sie?“ Reto hatte sich leisen Schrittes angenähert und schaute mit etwas bedrückter Miene auf den Knochenhaufen. Hane wandte sich um und sah ihn prüfend an.

„Wenn du die häretischen Mischwesen der Brache meinst, mache ich dir keine Illusionen! Es ist mein Auftrag als Reichsritter und vor allem als Brachenwächter …“

„Ich meine das geschlüpfte Echsen-Mischwesen im Keller. Es ist ein Weibchen.“ fiel ihm Reto geistesabwesend ins Wort. Der Bursche wirkte als wäre ihm zum Heulen zu Mute.

„Du solltest dich nicht so sehr in Gedanken vertiefen, dass du deine Manieren vergisst, Reto.“ Mit einem freundlichen, aber tadelnden Blick sah Hane den Burschen an, der plötzlich aufschreckte und realisierte, dass er dem Reichsritter ins Wort gefallen war. Bevor er zu einer Entschuldigung ansetzen konnte, legte Hane eine Hand auf Retos Schulter und fuhr fort. „Ein Weibchen also, ja? Reto, ich weiß, dass du für jedes Tier auf Dere nur das Beste möchtest. Doch diese Wesen im Keller – die passen nicht in dein gewohntes Bild vom Leben. Sie sind womöglich nicht mit dem Segen der Götter in unsere Welt gelangt. Oder womöglich sind sie es doch. Wer sind wir schon über der Götter Willen zu urteilen? Wir brauchen jedenfalls Fingerspitzengefühl im Umgang mit diesen Wesen, denn wir haben einen klaren Auftrag über den ich keine Diskussionen zulasse – wir sind hier um das Umland, um Ostbrisken vor den erwachenden Schrecken der Brache zu beschützen!“

„… und das machen wir am besten, indem wir die Viecher kaputthauen. Wenn wir sie vorher gefangen nehmen müssen um ihre Schwächen kennenzulernen, dann muss das halt so sein... Ob wir das Biest nun sofort, oder erst zwei Tage später erschlagen, soll mir zumindest egal sein.“ Oleana war hinzugekommen und biss gerade kräftig in eine Rehkeule hinein.

In Oleanas Schatten war auch Radulf in die weitläufige Stube des Wachturms getreten und streckte seine Hände in Richtung Kaminfeuer aus. Langsam bewegte er jeden einzelnen Finger seiner verletzten Schwerthand und formte eine schmerzhafte Faust, was seinen leinenumwickelten Unterarm zum Zucken brachte. „Also wenn du mich fragst, ist gegen das Einsperren der Biester nichts einzuwenden. Ein weggesperrtes Vieh ist genauso gut wie ein totes Vieh. Hauptsache sie können keinen Ärger mehr machen. Und jeder Kampf den man umgehen kann, schult Golgaris Geduld. Versteht mich nicht falsch, wenn gekämpft werden muss, dann kämpfe ich! Da kenne ich gar nichts…“

„Niemand versteht dich falsch, alter Knabe! Wir haben dich kämpfen sehen!“ Carls riesige Pranke landete krachend auf der Schulter Radulfs und zwang ihn fast in die Knie. Die leicht gekrümmte Haltung und der Schmerz den Carl bei jeder Bewegung verspürte, hielten ihn nicht von einem breiten Grinsen ab. „Aber meinst du wirklich, dass die Vorbewohner dieses Turms sich nur vor den Biestern in Sicherheit gebracht haben?“

„Ich weiß nicht was sie hier mit den Viechern gemacht haben. Jedenfalls haben sie sie nicht so zerstückelt wie Magnus und der Hohe Herr…“ Radulf hatte sich gefangen und blickte erwartungsvoll in Richtung des Hünen der an seine Seite getreten war.

„Wahrscheinlich haben sie aber dennoch genau das getan. Die Biester gefangen und zerlegt, ihre Stärken und Schwächen aufgeschlüsselt, ihre Gefährlichkeit greifbar gemacht. Eine Forschungseinrichtung…“ Magnus mischte sich nun auch in die Unterhaltung ein.

„Das würde aber kaum die ganzen wirren Zeichen an den Wänden erklären… Mal ehrlich, nur Zauberer malen und ritzen Zeichen an die Wände… Hier waren also irgendwelche Zaubermächte am Werk.“ Carls Stimme trotzte nur so vor Sicherheit und Überzeugung.

„…vergesst nicht, auch die Käfigstangen waren mit zahlreichen Zeichen versehen…“ Hanes leise gemurmelter Kommentar ging in den lauten Stimmen der anderen unter.

„Vielleicht haben ja die Zauberer probiert die Mischwesen zu retten und wieder in ihre Ursprungstiere zurück zu verwandeln. Das muss doch irgendwie möglich sein…“ brach es aus Reto heraus.

„Ach, sind deine Mischwesen jetzt doch keine Schöpfung der jungen Göttin mehr, Reto?“ fuhr Tello den Pferdeknecht an.

„So habe ich das nie verallgemeinert, Tello! Wenn aber ein Tier, sei es noch so hässlich, vor unseren Augen aus einem Ei schlüpft, ist das doch wohl eine Geburt, oder etwa nicht?! Willst du jetzt etwa leugnen, dass die Allesspendende Mutter den Geschöpfen Deres das Leben schenkt?“ Retos Stimme überschlug sich ein ums andere Mal, als er vehement gegenhielt.

„Aus wessen Schöpfung auch immer diese Biester stammen, die Vielfalt der Schöpfung – ob jetzt von der Brache oder von Mutter Tsa – ist bemerkenswert. Eine springende Echse mit Katzenaugen, ein Bär mit Dornen und Hornplatten,… Wer auch immer das gemacht hat, hatte echt Sinn für etwas Neues…“ Radulf fuhr den beiden Jungspunden in die Parade.

„Diese Schwarzmagier im Keller haben die Biester doch bestimmt erst geschaffen. Haben Tiere gefangen und sie zu dem gemacht was jetzt, lange Zeit danach, wieder aus der Brache ausbricht.“ Oleana spuckte laut hörbar und deutlich sichtbar aus um ihrem Missmut Ausdruck zu verleihen.

„Das macht verdammt nochmal Sinn. Woher sonst hätte das Monstrum vor zwei Tagen wissen sollen wo es angreifen muss? Das Biest wurde hier erschaffen, von den Vorbewohnern des Turms… Wahrscheinlich sind diejenigen die diesen Keller so hergerichtet haben für das Erwachen der Brache erst zuständig…“ Tellos Stimme dröhnte vor Empörung und Wut.

„Genug jetzt! Die Brache spukt seit tausenden von Jahren ungekannte Schrecken aus, die den Mächten des Chaos entspringen müssen. Das Erwachen der Brache hat mit Sicherheit nichts mit den Tätigkeiten in diesem einhundert Rechtschritt messenden Kellergeschoss zu tun. Ich habe mir auch schon zahlreiche Gedanken gemacht, was es mit dem Keller auf sich haben könnte und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir Nachforschungen dazu anstellen müssen. Da ich dafür im Moment aber weder Zeit noch das nötige Geld habe, wird das zunächst ruhen müssen. Deswegen wäre ich euch dankbar, wenn auch die Spekulationen erstmal ruhen könnten.“ Hane blickte mit ernstem Gesichtsausdruck in die Runde. Dann stahl sich ein spitzbübiges Grinsen auf seine Miene. „Und jetzt geht mal raus, die Gemüter wieder ein bisschen abkühlen. Wir können es uns gerade nicht leisten ein Neugeborenes durchzufüttern, also lasst Brünni und Rico nicht die ganze Zeit allein da draußen…“ Seine Worte wurden von Carl mit dröhnendem Gelächter quittiert. Auch die anderen konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, einzig Reto wirkte ein wenig angewidert, ging es hier schließlich um seinen Bruder…

„Zieht euch wieder an, wir kommen nach draußen!“ donnerte Carls lachende Stimme nach draußen, als er sich mit raumgreifenden Schritten anschickte den Wohnbereich des Wachturms zu verlassen.

Hane hing noch ein wenig seinen Gedanken über die zurückliegende Diskussion nach. Sein Beschluss war gefasst. Wenn es so weiterging, würden sich seine Kameraden irgendwann an die Gurgel gehen. Er würde Waffenübungen abhalten, um die Gemeinschaft zu stärken und sie alle wehrhaft zu machen. Überdies musste er wissen was in diesem Keller einst getrieben wurde. Sollte es wirklich so sein wie Magnus sagte und wie er selbst vermutete, dass hier Forschungen über die Chimärenwesen angestellt wurden? Der daraus entspringende Wissensschatz wäre unermesslich – nicht nur für ihn, sondern für alle Brachenwächter. Es war also nicht nur eine Entscheidung die er für sich fällen konnte, sondern er musste das Allgemeinwohl im Blick behalten… Hane fühlte wie eine Last auf ihm zu liegen begann. Ist das die stete Sorge des Adels? Das Wohlergehen der Schutzbefohlenen und die damit verbundene Abwägung von Interessen um ebenjenen Schutz gewährleisten zu können – womöglich auch manchmal gegen eigene Überzeugungen?

Er schüttelte die abschweifenden Gedanken mit einem energischen Kopfnicken weg und zerknüllte das letzte beschriebene Pergament. Ohne es zu bemerken, hatte er während der Diskussion einige der zeichenverzierten Stahlstangen aus dem Kellergewölbe skizziert… Er überantwortete das Pergament dem Feuer.