Geschichten:Abgründe - Natürlich unnatürlich

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Ritterherrschaft Ostbrisken am Fuße des Wachturms Hohenbrisken am 13.Travia 1042BF

Das Fackellicht wurde von den blanken Wänden zurückgeworfen. Die Flammen tanzten und tauchten das Kellergewölbe in ein ruheloses, warmes Licht. Der Rauch begann langsam sich zu sammeln und ihnen die Sicht zu trüben. Neun Menschen standen hier unten und waren vollkommen versunken in die Szenerie die sich ihnen auf der anderen Seite der engstehenden Stahlstangen darbot. Ein Ei, größer als ein Menschenkopf, getüncht in alle Farben des Regenbogens, übersät mit zahllosen Rissen, tanzte vor ihren Augen auf und ab. Hier rollte es zur einen Seite um im nächsten Moment nach einem kräftigen Zusammenstoß mit den Stahlstreben in eine andere Richtung auszuschlagen. Mehr und mehr Risse überzogen die Schale und alle waren sich sicher, dass es nur noch einige Herzschläge dauern würde, bis das Wesen – was auch immer es wohl sein würde – aus dem Ei herausbricht.

„Was meint Ihr was da rauskommt? Muss ja nen Vogel sein, sonst wär’s nicht in nem Ei.“ Brünni schaute fragend in die Runde.

„Nicht nur Vögel legen Eier. Spinnen, Echsen, Schlangen, Würmer, Käfer, …“, entgegnete Magnus mit vollkommener Ruhe, während er ab und zu seinen Schleifstein über das Schwert zog.

„Urgh!! Da wären mir Vögel doch tausendmal lieber… Ich will mir keinen Wurm vorstellen, der aus diesem Ei rauskommt! Würden die Gitterstäbe den denn überhaupt aufhalten können?“, Brünnis Stimme nahm eine panische Note an und sie bewegte sich unwillkürlich ein paar Schritte in Carls Rücken.

„Vögel und Würmer haben keine Hasenpfoten. Guckt mal, das Ei ist bereits an einer Stelle durchbrochen! Magnus, Carl nach links! Oleana, Radulf zu meiner Rechten! Alle anderen drei Schritt zurück und keinen Schritt näher! Macht nichts unüberlegtes, was auch immer da herauskommt, gebt ihm keinen Grund hier zu randalieren!“ Hane nockte einen Pfeil auf die Sehne, doch ließ er seinen Bogen betont gelassen in der linken Hand ruhen.

Auf die erste Hasenpfote folgte eine zweite und der Bann war gebrochen. Das Wesen aus dem Ei hatte Bodenkontakt und war offenbar nicht gewillt diesen so schnell wieder herzugeben. Beide Beine standen nun auf den Steinen und spannten sich um mit einem kräftigen Satz in die nächste Stahlstrebe zu krachen. Die Eierschalen zerbarsten in alle Richtungen, das Wesen schüttelte sich benommen und sah sich aus geschlitzten Augen um. Kräftige Hasenpfoten bildeten die Hinterläufe der Kreatur. Ein roter Puschelschwanz zierte das Hinterteil und ließ auf einen Anteil Rotpüschel in dem Wesen schließen. Aus dem dichten Hasenfell wuchsen mehr und mehr grünlich-rötliche Schuppen die sich schnell ohne Fellbewuchs in einen unterarmlangen Eidechsenkörper erstreckten. Doch das Mischwesen trug nicht den Kopf einer Eidechse, sondern den einer Wildkatze. Es entblößte scharfe Zähne als es herausfordernd seine Beobachter betrachtete. Ein zaghafter Laut irgendwo zwischen Zischen und Maunzen entsprang der Kehle der Kreatur und sorgte für unterschiedliche Reaktionen.

„Bei allen Göttern!“, schnaufte Tello ungläubig.

„Faszinierend!“, kommentierte Radulf die Erscheinung.

„Seid vorsichtig, ich glaube es will ausbrechen!“, tönte Brünnis schrille Stimme durch das Kellergewölbe.

„Nun erschlagt es schon!“, fügte Tello hinzu.

„Niemand! Erschlägt! Irgendwen!“, entgegen der Anweisungen war Reto nach vorne geprescht und hatte den verdutzten Hane aus dem Weg bugsiert. Er stand nun mit ausgebreiteten Armen vor dem Käfig und schaute seine Kameraden an. Von Brünni hörte man ein ersticktes Keuchen.

„Reto, was tust du da? Komm weg von dem Käfig!“, Hane hatte sich gefangen und bot Reto die Hand an um ihn wegzuziehen. Die Hasen-Echsen-Katze im Käfig blieb ruhig und beobachtete die Situation.

„Ihr habt es alle gesehen! Dieses Tier ist geschlüpft! Aus einem Ei! Es ist eine natürliche Geburt, ein natürliches Wesen, auch wenn es sonderbar aussieht!“, schrie Reto beinahe.

„Reto, du spinnst doch! An diesem Ding ist nichts natürlich! Meinst du die junge Göttin würde dieses Vieh gutheißen?“, Tello verfiel nun auch in einen lauten Tonfall.

„Ach, und du bist jetzt die Stimme von Mutter Tsa auf Dere, Tello? Was weißt du schon von den Göttern und von der Schöpfung! Wenn etwas natürlich zur Welt kommt, ist es Teil der Schöpfung, sonst wäre es doch wohl bei der Geburt gestorben!“, erwiderte Reto aufgebracht. Die Hasen-Echsen-Katze in seinem Rücken stieß wie zur Zustimmung ein schrilles, durchdringendes und unerwartet lautes Maunz-Zischen aus, das alle zusammenzucken ließ.

„Der Junge hat einen Punkt…“, murmelte Magnus kaum hörbar.

„Hast du die Krallen von dem Vieh gesehen und die spitzen Zähne? Reto das ist kein Schoßkätzchen, sondern ein Raubtier! Komm doch bitte von dem Käfig weg!“, schluchzte Brünni aufgelöst.

„Ha! Ein Raubtier mit rotem Puschelschwanz! Das wär doch mal was! Das gab’s selbst in Tobrien nicht…“, lachte Carl begeistert und ließ seine Ronja lässig in der rechten Hand vor und zurück pendeln. Die Hasen-Echsen-Katze quittierte diese Bemerkung mit einem erneuten lautstarken Maunz-Zischen.

„Ruhe jetzt, Scheusal!“, kläffte Oleana der Kreatur herausfordernd entgegen.

„Habt ihr das gehört?“, raunte Magnus.

„Ich weiß nicht ob ich jemals wieder was anderes hören werde, alter Freund!“, brummte Carl und bohrte mit dem Finger in seinem Ohr herum in der Hoffnung das Rauschen herauskratzen zu können.

„…das meinte ich nicht…“, Magnus drehte sich weg und ging in Richtung Treppe.

„Magnus? Was hast du gehört, alter Knabe?“, Hane hatte eine besorgte Miene aufgesetzt. Draußen bellte ein Hund. Hanes Hund. Bellrik II. bellte nie, außer…

„Zu den Waffen und alle raus aus dem Keller! Tello, Rico… nehmt die Spieße im Wandschrank und verschanzt euch mit den anderen im großen Saal.“ Für die anderen brauchte Hane keine Worte. Ein energischer Wink genügte und sie eilten Magnus hinterher die Treppe aus dem Keller hinauf und aus dem Turm heraus.

Magnus war bereits bei Bellrik II. und kniff die Augen zusammen. Sein Blick war in Richtung Brache gerichtet, doch zu sehen war noch nichts. Hane eilte herbei, gefolgt von Oleana und Radulf, Carl folgte als Nachhut. So standen sie für wenige Herzschläge auf dem Hügelplateau und beobachteten die Brache. Einige der Bäume wiegten hin und her als würde sich etwas unter ihnen bewegen und regelmäßig mit den Stämmen kollidieren. Die Bewegung kam näher, die Anspannung wuchs. Plötzlich brach etwas aus dem Schatten hervor. Mit weiten Sprüngen setzte es auf den Wachturm zu und ließ die Brache im Nu hinter sich. Ausgewachsen war das Biest eine wahre Abscheulichkeit und gigantisch obendrein. Auf seine Hinterläufe aufgerichtet, käme die Hasen-Echsen-Katze wohl an Hanes Körperhöhe heran. Der Ansturm des Biests wurde begleitet von einem ausgewachsenen Maunz-Zischen und nun hatte es auch der letzte begriffen: Das Muttertier war gekommen um sein Baby zurückzuholen!